Einen Engel wünsch‘ ich Dir
Eine Andacht im Advent von Birgit Brügge
Obwohl der Zeitpunkt nicht unbekannt ist, wann die Advents- und Weihnachtszeit beginnt: Sie kommt immer ganz schön plötzlich… Wenn wir dann schnell die Weihnachtsdeko rauskramen, um das Haus oder die Wohnung zu schmücken, dürfen natürlich auch die Engel nicht fehlen. Mal sehen wir sie als Porzellanfiguren oder auch als Glas-, Holz- oder Papierengel. Aber warum eigentlich? Ist es einfach nur der nette dekorative Wert, oder bedeuten uns die Engel mehr, wenn wir sie aufstellen?
Klar sind die Engel wichtige Figuren in der Weihnachtsgeschichte. Der Engel überbringt Maria die Botschaft, dass sie ein Kind bekommen wird. Der Engel erscheint den Hirten, um ihnen den Weg zur Krippe zu weisen. Der Engel erscheint dem Josef und fordert ihn zur Flucht auf.
Natürlich kennt jede von uns diese Geschichten. Aber was bedeuten die Engel für uns persönlich in der heutigen Zeit? Können auch wir manchmal davon sprechen, einem Engel begegnet zu sein? Gibt es sie wirklich oder nur in Geschichten oder Fernsehfilmen?
Es gab mal eine Serie, die hieß „Ein Engel auf Erden“. Dort war es so, dass ein Engel in Menschengestalt auf der Erde anderen bedürftigen Menschen in misslicher Lage zur Seite stand und ihnen half. Eine schöne Vorstellung, nicht wahr?
Aus Psalm 91
Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt
und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt,
der spricht zu dem HERRN:
Meine Zuversicht und meine Burg,
mein Gott, auf den ich hoffe.
Er wird dich mit seinen Fittichen decken,
und Zuflucht wirst du haben unter seinen Flügeln.
Seine Wahrheit ist Schirm und Schild,
dass du nicht erschrecken musst
vor dem Grauen der Nacht,
vor dem Pfeil, der des Tages fliegt,
vor der Pest, die im Finstern schleicht,
vor der Seuche, die am Mittag Verderben bringt.
Denn der HERR ist deine Zuversicht,
der Höchste ist deine Zuflucht.
Es wird dir kein Übel begegnen,
und keine Plage wird sich deinem Hause nahen.
Denn er hat seinen Engeln befohlen,
dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen,
dass sie dich auf den Händen tragen
und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest.
(Psalm 91,1-2.4-6.9-12)
Von Engeln berührt
„Es müssen nicht Männer mit Flügeln sein, die Engel“,
das wissen wir spätestens seit dem Gedicht von Rudolf Otto Wiemer.
Es können Menschen sein wie Du und ich.
Sie begegnen uns, jeden Tag.
Da ist jemand, der mir bei einer wichtigen Entscheidung hilft.
„Du bist ein Engel!“, das sagen Liebende zueinander.
Da ist ein Mensch, der einem Sterbenden die Hand streichelt.
Da ist einer, der im richtigen Moment zur Stelle ist.
Wer möchte solchen Engeln nicht begegnen?
Engel sind geheimnisvolle Gestalten – und doch ganz menschlich.
Oder gerade: „ganz menschlich“?
Jedes Mal, wenn ein Engel mein Leben berührt,
ist es, wie Weihnachten sein sollte:
ein Moment des stillen Glücks,
ein Geschenk des Himmels.
Geschichte eines New Yorker Taxifahrers
Ich wurde zu einer Adresse hinbestellt und wie gewöhnlich hupte ich, als ich ankam. Doch kein Fahrgast erschien. Ich hupte erneut. Nichts. Noch einmal. Nichts. Meine Schicht war fast zu Ende, dies sollte meine letzte Fahrt sein. Es wäre leicht gewesen, einfach wieder wegzufahren. Ich entschied mich jedoch dagegen, parkte den Wagen und ging zur Haustür. Kaum hatte ich geklopft, hörte ich eine alte, gebrechliche Stimme sagen: „Bitte, einen Augenblick noch!“ Durch die Tür hörte ich, dass offensichtlich etwas über den Fußboden geschleift wurde.
Es verging eine Weile, bis sich endlich die Tür öffnete. Vor mir stand eine kleine alte Dame, bestimmt 90 Jahre alt. Sie trug ein mit Blümchen bedrucktes Kleid und einen dieser Pillbox-Hüte mit Schleier, die man früher immer getragen hat. Ihre gesamte Erscheinung sah so aus, als wäre sie aus einem Film der 1940er Jahre entsprungen. In ihrer Hand hielt sie einen kleinen Nylon-Koffer. Da die Tür offen war, konnte ich nun auch einen Blick in ihre Wohnung werfen. Die Wohnung sah aus, als hätte hier über Jahre niemand mehr gelebt. Alle Möbel waren mit Tüchern abgedeckt. Die Wände waren völlig leer – keine Uhren hingen dort. Die Wohnung war fast komplett leer – kein Zimmerschmuck, kein Geschirr auf der Spüle, nur hinten in der Ecke sah ich etwas. Einen Karton, der wohl mit Photos und irgendwelchen Glas-Skulpturen bepackt war.
„Bitte, junger Mann, tragen Sie mir meinen Koffer zum Wagen?“, sagte sie. Ich nahm den Koffer und packte ihn in den Kofferraum. Ich ging zurück zu der alten Dame, um ihr beim Gang zum Auto ein wenig zu helfen. Sie nahm meinen Arm, und wir gingen gemeinsam in Richtung Bürgersteig, zum Auto.
Sie bedankte sich für meine Hilfsbereitschaft. Es sei nicht der Rede wert, antwortete ich ihr. „Ich behandle meine Fahrgäste schlicht genauso, wie ich auch meine Mutter behandeln würde!“
„Oh, Sie sind wirklich ein vorbildlicher junger Mann“, erwiderte sie.
Als die Dame in meinem Taxi Platz genommen hatte, gab sie mir die Zieladresse, gefolgt von der Frage, ob wir denn nicht durch die Innenstadt fahren könnten.
„Nun, das ist aber nicht der kürzeste Weg, eigentlich sogar ein erheblicher Umweg“, gab ich zu Bedenken.
„Oh, ich habe nichts dagegen“, sagte sie. „Ich bin nicht in Eile. Ich bin auf dem Weg in ein Hospiz.“
„Ein Hospiz?“, schoss es mir durch den Kopf. Scheiße, Mann! Dort werden doch sterbenskranke Menschen versorgt und beim Sterben begleitet. Ich schaute in den Rückspiegel, schaute mir die Dame noch einmal an.
„Ich hinterlasse keine Familie“, fuhr sie mit sanfter Stimme fort. „Der Arzt sagt, ich habe nicht mehr sehr lange.“
Ich schaltete das Taxameter aus. „Welchen Weg soll ich nehmen?“, fragte ich.
Für die nächsten zwei Stunden fuhren wir einfach durch die Stadt. Sie zeigte mir das Hotel, in dem sie einst an der Rezeption gearbeitet hatte. Wir fuhren zu den unterschiedlichsten Orten. Sie zeigte das Haus, in dem sie und ihr verstorbener Mann gelebt hatten, als sie noch „ein junges, wildes Paar“ waren. Sie zeigte mir ein modernes, neues Möbelhaus, das früher „ein angesagter Schuppen“ zum Tanzen war. Als junges Mädchen habe sie dort häufig das Tanzbein geschwungen.
An manchen Gebäuden und Straßen bat sie mich, besonders langsam zu fahren. Sie sagte dann nichts. Sie schaute einfach nur aus dem Fenster und schien mit ihren Gedanken noch einmal auf eine Reise zu gehen. Hinter dem Horizont kamen die ersten Sonnenstrahlen. Waren wir tatsächlich die ganze Nacht durch die Stadt gefahren?
„Ich bin müde“, sagte die alte Dame plötzlich. „Jetzt können wir zu meinem Ziel fahren.“
Schweigend fuhren wir zu der Adresse, die sie mir am Abend gegeben hatte. Das Hospiz hatte ich mir viel größer vorgestellt. Mit seiner Mini-Einfahrt wirkte es eher wie ein kleines freundliches Ferienhaus. Jedoch stürmte kein verkaufswütiger Makler aus dem Gebäude, sondern zwei eilige Sanitäter, die, kaum hatte ich den Wagen angehalten, die Fahrgasttüre öffneten. Sie schienen sehr besorgt. Sie mussten schon sehr lange auf die Dame gewartet haben.
Und während die alte Dame im Rollstuhl Platz nahm, trug ich ihren Koffer zum Eingang des Hospiz‘.
„Wieviel bekommen Sie von mir für die Fahrt?“, fragte sie, während sie in ihrer Handtasche kramte.
„Nichts“, sagte ich.
„Sie müssen doch ihren Lebensunterhalt verdienen“, antwortete sie.
„Es gibt noch andere Passagiere“, erwiderte ich mit einem Lächeln.
Und ohne lange darüber nachzudenken, umarmte ich sie. Sie drückte mich ganz fest an sich.
„Sie haben einer alten Frau auf ihren letzten Metern noch ein klein wenig Freude und Glück geschenkt. Danke!“, sagte sie mit glasigen Augen zu mir.
Ich drückte ihre Hand und ging dem trüben Sonnenaufgang entgegen… Hinter mir schloss sich die Tür des Hospiz. Es klang für mich wie der Abschluss eines Lebens.
Meine nächste Schicht hätte jetzt beginnen sollen, doch ich nahm keine neuen Fahrgäste an. Ich fuhr einfach ziellos durch die Straßen – völlig versunken in meinen Gedanken. Ich wollte weder reden, noch jemanden sehen. Was wäre gewesen, wenn die Frau an einen unfreundlichen und mies gelaunten Fahrer geraten wäre, der nur schnell seine Schicht hätte beenden wollen? Was wäre, wenn ich die Fahrt nicht angenommen hätte? Was wäre, wenn ich nach dem ersten Hupen einfach weggefahren wäre?
Wenn ich an diese Fahrt zurückdenke, glaube ich, dass ich noch niemals etwas Wichtigeres im Leben getan habe. In unserem hektischen Leben legen wir besonders viel Wert auf die großen, bombastischen Momente. Größer. Schneller. Weiter.
Dabei sind es doch die kleinen Momente, die kleinen Gesten, die im Leben wirklich etwas zählen.
Für diese kleinen und schönen Momente sollten wir uns wieder Zeit nehmen. Wir sollten wieder Geduld haben – und nicht sofort hupen – dann sehen wir sie auch.
(Verfasser unbekannt)
Gebet
Guter Gott, wir brauchen dich
auf unserer dunklen Erde.
Lass dein Licht uns leuchten,
damit wir nicht erschrecken vor dem,
was uns jeden Tag an Schrecklichem begegnet.
Schick uns deine Engel,
damit wir nicht mutlos werden.
Tröste uns und alle die traurig sind und allein.
Sei du mit den Kranken und Sterbenden.
Sende ihnen einen Engel, der ihre Hand hält.
Zünde ein Licht der Hoffnung in uns an,
damit wir nicht verzweifeln.
Bewahre uns und die uns lieb sind
unter deinen Fittichen.
Amen.
Segenswunsch
Ich wünsch‘ dir einen Engel
Der dich gut geleiten mag
Des Nachts und auch an jedem Tag
Und deine Seel‘ behüte
Ich wünsch‘ dir einen Engel
Der treu an deiner Seite geht
Und in Gefahr auch zu dir steht
Und jeden Schritt bewahrt
Ich wünsch‘ dir einen Engel
Mit einer großen Menge Zeit
Aus seinem Vorrat Ewigkeit
Für deinen Weg durchs Leben
Ich wünsch‘ dir einen Engel
Immerdar und rund ums Jahr
Immer für dich ansprechbar
Persönlich für dein Leben
(Doris Wohlfarth)