Vortrag zum Thema „Luther und die Juden“
Kein Heiliger, sondern ein Mensch mit Ecken und Kanten, sei Martin Luther gewesen, sagte sein persönlicher Freund Philipp Melanchthon bei Luthers Beerdigung im Jahr 1546. Trotzdem wird der große Mann heute oft heiligmäßig verklärt, von den Ecken und Kanten ist weniger die Rede. Zu den düstersten Seiten des Reformators zählt sicherlich sein Antisemitismus. Wie er zum Judenhasser wurde, zeichnete Pfarrer Hans-Peter Lauer in einem spannenden Vortrag in der Kreuzeskirche Duisburg Marxloh nach. Lauers Vortragsreihe gehört in das umfangreiche Festprogramm der evangelischen Bonhoeffer Gemeinde Marxloh-Obermarxloh zur 100. Geburtstag der Lutherkirche.
Luther hat in seiner Schrift „Daß Jesus ein Geborner Jude Sei“ von 1523 zunächst durchaus gemäßigte Töne über das Volk des Herren angeschlagen. Die Christen hätten die Juden wie Hunde und nicht wie Menschen behandelt, beklagt er. Verantwortlich dafür macht er – wie könnte es anders sein – die Papstkirche. Er hat aber die Hoffnung, dass die Juden bei freundlicherer Behandlung missionsbereiter sein könnten und „es sollten von ihnen rechte Christen werden“. Zu diesem Zeitpunkt ist Luther 40 Jahre alt und seine Berührungspunkte mit tatsächlichem jüdischem Leben sind gering. In seinem Wohnort Wittenberg gibt es keine Juden. Luther, selbst ein großer „Schreibtischtäter“, bezieht seine Informationen aus den Schriften anderer. In den nächsten 20 Jahren ändern sich die Schlüsse, die er aus seiner Lektüre zieht. Seine Schrift von 1543: „Von den Jüden und jren Lügen“, erklärt die Juden rundheraus zu den größten Feinden des Christentums. „Luther sah sich im Alter von immer mehr Feinden der wahren Lehre umgeben“, stellte Lauer dazu fest. Der inzwischen 60jährige Reformator spricht nicht mehr von Mission, sondern empfiehlt den Fürsten einen Sieben-Punkte-Plan, der den Zuhörern in der Kreuzeskirche fast 500 Jahre später noch einen Schauer über den Rücken jagte. Der Plan sieht das Anzünden jüdischer Schulen, Synagogen und Wohnhäuser ebenso vor, wie die finanzielle Enteignung, das Verbot der Religionsausübung und Zwangsarbeit.
Pfarrer Lauer referierte über gegensätzliche Standpunkte in der Lutherforschung. Hat Luthers Einstellung mit tatsächlichen Erlebnissen zu tun? Etwa mit jüdischen Missionserfolgen an evangelischen Christen? Entwickelte er sich allmählich zum Judenfeind, oder gab es einen radikalen Bruch? Lauer wehrte sich gegen die Tendenz, die Hasstiraden des Reformators mit seinem Altersstarrsinn und seinen vielen körperlichen Beschwerden zu verharmlosen: „Diese Äußerungen erfüllen heute durchaus den Tatbestand der Volksverhetzung, dafür würde er verhaftet werden.“
Lauers Vorträge haben ein Stammpublikum aus der Gemeinde angezogen, das inzwischen über umfangreiche Kenntnisse zu Luthers Leben und Werk verfügt, das wurde beim Diskussionsteil des Abends deutlich. Trotzdem war die Schärfe und Brisanz von Luthers Judenhass für die meisten Zuhörer eine Überraschung.