10 Jahre ist die Evangelische Bonhoeffer Gemeinde Marxloh-Obermarxloh schon alt geworden. 2007 wurde sie aus den Gemeinden Marxloh und Obermarxloh gegründet.
Viel ist seitdem unternommen worden, um die neue Einheit der Gemeinde sichtbar für alle zu machen. Insbesondere sollten Baumaßnahmen das Zusammen-wachsen der beiden seit 1950 selbständigen Gemeinden befördern. So wurde das Leben der Gemeinde auf zwei Standorte konzentriert: die Kreuzeskirche und die Lutherkirche. Beide sind mit ihren unterschiedlichen Arbeitsbereichen für die ganze Gemeinde und damit für die drei Stadtteile Marxloh, Obermarxloh und Röttgersbach da.
Die neue Einheit einer Gemeinde kann man anerkennen, ohne sie innerlich mit vollziehen zu wollen. Man sieht sie dann vor allem als eine Folge äußerer Umstände und negativer Entwicklungen. Sie ist notwendig, weil die Zahl der Mitglieder im Laufe der Jahre geringer geworden ist und weil bei knapper werdenden Mitteln erforderliche Einsparungen möglich werden. All dies sind sachliche
Maßnahmen, deren Notwendigkeit man durchaus einsieht. Zugleich aber hat man vor Augen, was durch die Veränderungen verloren gegangen ist und bedauert den Verlust der Selbständigkeit.
Kirchliche Strukturmaßnahmen in unserer Zeit haben den Makel, dass sie sich als erzwungen durch die äußeren Umstände darstellen. Sie sind oft ein Spiegelbild von Politik und Wirtschaft, wo es heißt: Es gibt keine Alternative, weil die Sachzwänge nun einmal so sind, wie sie sind. Daher sind viele, die davon betroffen sind, im Zwiespalt: Man nimmt die Veränderungen zur Kenntnis und hält zugleich an den alten Bindungen fest, etwa an die vertraute Kirche oder die frühere Bezugsgruppe. Wirklich innerlich frei für die neue Einheit ist man dabei nicht. Die neu hinzugekommenen Mitarbeitenden, Kirchengebäude und Stadtteile bleiben zunächst einmal die anderen Mitarbeitenden, die fremde Kirche und die mit diesen oder jenen Vorbehalten belasteten Stadtteile. Dabei wird außer Acht gelassen, dass die neue Einheit der Gemeinde gar nicht in erster Linie eine Sache von äußeren Zwängen und Notwendigkeiten sein muss.
Die Einheit einer Gemeinde hängt nämlich unmittelbar mit der Freiheit zusammen, die uns durch den Glauben gegeben ist. Die dabei leitende Frage lautet: Worin bin ich trotz aller Verschiedenheit mit anderen Menschen eins? Wieso sehe ich mich mit anderen Menschen verbunden, obwohl sie sich von mir teilweise oder sehr deutlich unterscheiden? Was bringt mich dazu, mit Menschen, die anders sind, als ich es bin, trotzdem eins zu wissen? Darauf gibt der Apostel Paulus folgende Antwort:
Hier ist nicht Jude noch Grieche,
hier ist nicht Sklave noch Freier,
hier ist nicht Mann noch Frau;
denn ihr seid allesamt
einer in Christus Jesus.
Galaterbrief 3, 28
„Jude – Grieche“, das ist die unterschiedliche Herkunft. „Sklave – Freier“, das ist der soziale Gegensatz. „Mann – Frau“, das ist die geschlechtliche Verschiedenheit. Aber trotz dieser Unterschiede, Gegensätze und Verschiedenheiten werden Menschen in die Lage versetzt, sich eins zu wissen. Sie sehen sich nicht mehr daran gebunden, was sie unterscheidet, und nicht mehr darauf festgelegt, was sie trennt. Sie sind frei davon und grenzen sich damit nicht gegenseitig ab. Dies erreichen sie nicht durch ihren guten Willen, sondern es wird ihnen gegeben. Sie wissen sich bereits vereint und können das nur noch anerkennen. Ihnen wird schlicht gesagt, dass sie bereits verbunden und vereint sind, und zwar durch einen einzigen Menschen, durch Jesus Christus.
Hinter dieser Einheit, die Gott durch Christus bereits geschaffen hat, kann man nicht mehr zurück. Es geht dann nur noch nach vorne. Es kann dann nur noch diese Einheit gestaltet werden. So gesehen macht jede Vereinigung von zwei Gemeinden, jede Ausdehnung der Gemeinde über Stadtteilgrenzen hinweg, jede Integration von Menschen mit anderer Herkunft oder anderer Frömmigkeit nur ernst mit der Einheit, die uns durch Christus bereits gegeben ist.
Dabei kommt es zunächst einmal darauf an, wie man sich selbst und andere wahrnimmt. Man kann sich daran halten, was man hat oder eben nicht hat. Man kann sich aber auch die Augen öffnen lassen, indem zugesprochen wird, wozu Gott Menschen – also dich und mich und somit uns zusammen – bestimmt:
Ihr seid alle durch den Glauben
Gottes Kinder in Christus Jesus.
Galater 3, 26
Wer das glaubt und sich damit vorrangig als Gottes Kind wahrnimmt, dem wird alles andere, was er noch ist, unwichtig oder zumindest weniger wichtig. Weil er sich ganz als Gottes Kind weiß und nur dies allein für ihn zählt, ist er auch frei von allen alten Bindungen, frei von der Bindung an das vertraute Kirchengebäude, frei von der Fixierung auf die Erinnerung an bessere Zeiten, frei davon, sich durch seine Herkunft, seinen Wohnort, seine Bildung, seine soziale Stellung oder sonst scheinbar Wichtiges zu definieren und sich gegen andere abzugrenzen.
Nicht Sachzwänge, nicht unabänderliche Notwendigkeiten und nicht negative Entwicklungen sollten uns also zu einer neuen Einheit bewegen. Man kann ihnen wohl noch einen guten Sinn abgewinnen, weil sie zur Antwort auf die Frage drängen, was uns eint. Aber die Freiheit, Altes hinter sich zu lassen und sich auf Neues einzulassen, kommt aus Glauben. Damit muss die Einheit auch nicht erst hergestellt, sondern die durch Gott gegebene und von uns geglaubte Einheit nur praktiziert werden.
Auf die Frage „Sind wir eins?“ kann es nur eine Antwort gegeben: Ja, wir sind es bereits – nicht durch uns, sondern durch den einen Menschen Jesus Christus. Wir sind es, weil wir alle durch den Glauben Gottes Kinder sind. Aber auf diese Antwort folgt sogleich die Gegenfrage: Erkennen wir dies auch an? Sagen wir auch tatsächlich Ja dazu, dass Gott uns durch Christus alle vereint hat? Nehmen wir uns auch gegenseitig als Gottes Kinder wahr?
Damit ist die Frage der Einheit nicht in erster Linie eine Sache von Baumaßnahmen und Konzepten oder eines gemeinsamen Logos, sondern allererst einmal eine Glaubensfrage – eine Frage meines und deines Glaubens.
Pfarrer Hans-Peter Lauer