Andacht zum Sonntag Exaudi (16. Mai 2021): Das Leben geht weiter

Andacht zum Sonntag Exaudi: Das Leben geht weiter

Bleibt nur abzuwarten?

Die Tage zwischen Himmelfahrt und Pfingsten gelten oft als eine Zwischenzeit. Sie beginnt mit einem Ende: Der auferstandene Jesus ist für seine Nachfolgerinnen und Nachfolger nicht mehr sichtbar gegenwärtig. Er ist „aufgefahren in den Himmel“, wie es im Glaubensbekenntnis heißt. Sie endet mit einem Beginn: dem Pfingstgeschehen, dem Kommen des Heiligen Geistes. Was zwischen Himmelfahrt und Pfingsten liegt, wird dann als weithin leer vorgestellt – ausgefüllt nur durch untätiges Abwarten. Gerade noch waren Menschen dem Auferstandenen und damit einem vom Tod befreiten Leben begegnet. Jetzt aber haben sie sich in geschlossene Räume zurückgezogen und von der Außenwelt abgeschottet. Die Hände sind ihnen gewissermaßen gebunden. Sie warten nur noch darauf, dass diese Zeit bald vorbei ist. Diese Zwischenzeit, in der anscheinend nichts möglich ist.

Was trotzdem noch möglich ist

Tatsächlich aber stellt der Evangelist Lukas in seiner Apostelgeschichte die Zeit zwischen Himmelfahrt und Pfingsten anders dar: Da kehren Menschen nach Jerusalem zurück, die eine Verheißung und einen Auftrag bekommen haben. Sie werden die Kraft des Geistes Gottes empfangen und die Zeugen Jesu in der Welt sein. Statt bloß abzuwarten, bis sich die Verheißung erfüllt und sie ihrem Auftrag nachkommen können, bereiten sie sich in dieser Zwischenzeit darauf vor. Dies beschränkt sich nicht auf das gemeinsame Gebet. Nach dem Tod des Judas muss der von Jesus eingesetzte Kreis der zwölf Apostel ergänzt werden. Durch Los wird unter zwei Kandidaten ein neues Mitglied gefunden und damit die Wahl Gott überlassen. Das setzt voraus, dass auch diese Zwischenzeit in Gottes Händen steht und er auch weiterhin für seine Menschen da ist. Wir lesen sogar, dass die Gemeinde auf 120 Personen gewachsen ist. Die empfangene Verheißung, der neue Auftrag und die Gegenwart Gottes machen also vieles möglich. Statt untätiges und ängstliches Abwarten geschieht in dieser Zwischenzeit aktive Vorbereitung auf die Zukunft.

Eine Zwischenzeit namens Corona-Krise

Auch die Corona-Krise erfahren wir als eine Art Zwischenzeit, eine Zeit zwischen dem hinter uns liegenden Ausbruch der Pandemie und ihrem von uns erwarteten Ende, eine Zeit, die mit dem Ende der „Normalität“ beginnt und mit dem Beginn einer neuen „Normalität“ aufhören soll. Ausgefüllt wird diese Zwischenzeit auf den ersten Blick nur durch den Wechsel von Wellen und Öffnungen, von Infektions- und Todeszahlen, von der Klage über Müdigkeit und der Erwartung, dass irgendwann wieder mehr möglich ist und das normale Leben wieder anfängt.

Der Autor der Apostelgeschichte über unsere Zeit

Würde der Evangelist Lukas über diese Zeit schreiben, dann könnten wir bei ihm wohl auch noch anderes lesen. Ein Historiker wie Lukas, der sein Interesse auch auf das Wirken Gottes in der Welt richtet, würde eben auch davon erzählen, wie das Leben weitergeht. Er würde nicht nur sein Augenmerk darauf richten, was zurzeit nicht mehr oder noch nicht möglich ist, sondern im Gegenteil hervorheben, wie Gott trotz alledem vieles möglich macht. Ihm würde auffallen, dass Gottes Wort weiter verkündigt wird und Menschen in vielerlei Weise Zeugen Jesu sind. Die neuen Möglichkeiten digitaler Kommunikation könnten in seinem Bericht durchaus breiten Raum einnehmen. Sicherlich würde er auch davon erzählen, wie Menschen ganz im Sinne Jesu handeln, indem sie durch Hygienemaßnahmen, Pflegen und Impfen Leben schützen und retten. Lukas würde sein Interesse wohl auch über das Privatleben hinaus auf das ganze Weltgeschehen richten und auch davon berichten, wie Regierungen gut oder schlecht mit Gottes Schöpfung umgehen. Für ihn wäre diese Corona-Zeit jedenfalls keine leere und schon gar nicht eine verlorene Zeit.

„Höre!“

Der heutige Sonntag ist im Kirchenjahr der sechste und letzte Sonntag nach Ostern. Er heißt „Exaudi“, was auf Latein „Höre!“ bedeutet und sich auf Psalm 27, 7 bezieht: „Herr, höre meine Stimme!“ Damit sind wir wieder bei der Gewissheit der Gemeinde Jesu, dass Gott auch in allen Zwischenzeiten seine Menschen wahrnimmt und die Verbindung mit ihm trotz aller sonstigen Kontaktsperren nicht abreißen lässt. Zu dieser Gewissheit gehört dann auch die Hoffnung, dass seine Antwort nicht ausbleiben wird. Diese Hoffnung hat ihren guten Grund in der Auferstehung Jesu von den Toten: Das Leben geht weiter – weiter noch, als wir es uns vorstellen können. Amen

Hans-Peter Lauer

Andacht zum Sonntag Exaudi (16.5.2021)