Predigt zu Trinitatis
Predigttext: Johannes 3, 1-8
1 Es war aber ein Mensch unter den Pharisäern mit Namen Nikodemus, ein Oberster der Juden. 2 Der kam zu Jesus bei Nacht und sprach zu ihm: Rabbi, wir wissen, dass du ein Lehrer bist, von Gott gekommen; denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm. 3 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wenn jemand nicht von Neuem geboren wird, so kann er das Reich Gottes nicht sehen. 4 Nikodemus spricht zu ihm: Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er denn wieder in seiner Mutter Leib gehen und geboren werden? 5 Jesus antwortete: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wenn jemand nicht geboren wird aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen. 6 Was aus dem Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; und was aus dem Geist geboren ist, das ist Geist. 7 Wundere dich nicht, dass ich dir gesagt habe: Ihr müsst von Neuem geboren werden. 8 Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt. So ist ein jeder, der aus dem Geist geboren ist.
Da geht ein Mann schwanger durch die Nacht. Sein Kopf ist voll von Gedanken und Gefühlen. Wie kann er sich nur auf das Kommende vorbereiten. Beckenbodenübungen und heiße Bäder helfen bei seiner Schwangerschaft nicht, denn Nikodemus, so heißt der Mann, ist nicht körperlich schwanger, sondern geistig. Sein Glauben ist es, der da etwas ausbrütet. Und wie bei vielen schwangeren Frauen, die kurz vor der Geburt stehen, kann er nicht mehr richtig schlafen. Er wälzt sich im Bett und findet keine Ruhe. Über die letzten Tage ist da etwas gewachsen, das er nicht einordnen kann, das alles sprengt, was für ihn bis jetzt selbstverständlich ist. Chaotisch wirren die Gedanken durch seinen Kopf, keinen kriegt er recht zu fassen.
Nikodemus ist ein angesehener Pharisäer, hat Macht und Einfluss, die Menschen schauen zu ihm auf. Er ist ein oberster Vertreter der Juden. Und dann ist er mit Jesus in Kontakt gekommen und diese Begegnung hat alles auf den Kopf gestellt. Alles, was selbstverständlich war, ist es jetzt nicht mehr. Eine Schwangerschaft verändert eben alles.
Nikodemus kann nicht anders, er muss Klarheit für sich finden, muss Kontrolle über seine Gedanken bekommen. So steht er auf und schleicht nachts aus seinem Haus und begibt sich zu Jesus. Dieser Jesus soll ihm bei der Geburt helfen, soll ihm seine Fragen beantworten und das Kopfchaos stillen.
Da geht ein Mann schwanger durch die Nacht. Sein Kopf ist von Gedanken und Gefühlen. Meiner Vorstellung nach kommt Nikodemus bei Jesus an und der scheint schon auf ihn zu warten. Dieser Jesus soll für Nikodemus eine Hebamme sein, ihm helfen seinen neuen Glauben zu gebären, seine Schwangerschaft zu einem guten Ende zu bringen. Ein Lagerfeuer brennt und Jesus stichelt mit einem Stock in der Glut herum, sodass die Funken nur so spratzen. Schüchtern und vorsichtig kommt der Schwangere zu ihm und spricht für ihn Unvorstellbares aus: Jesus, du bist ein Lehrer, der von Gott persönlich gesandt wurde, denn was du tust und sagst kann niemand vollbringen ohne Gottes Hilfe.
Das von einem jüdischen Pharisäer, die im Johannesevangelium von Beginn an nur danach streben, Jesus zu töten. Ein solcher erkennt Jesus und seine besondere Funktion an.
Und Jesus, was macht er? In meiner Vorstellung lässt er im Feuer noch einmal die Funken sprühen und schaut Nikodemus mit einem Lächeln an und er antwortet: Du musst neu geboren sein, um das Reich Gottes zu sehen.
Da geht ein Mann schwanger durch die Nacht. Sein Kopf ist voll, denn Jesus spricht von Neugeburt. Dabei ist doch Nikodemus schon erwachsen. Wie kann er denn neu geboren werden?
Jesus spricht von einer neuen Schöpfung, von einem neuen Sehen, das durch die Geburt möglich ist. Und für diese Geburt braucht es nichts weiter als ein bisschen Wasser und etwas Geist. Und für Nikodemus braucht es auch gar nicht mehr viel, denn er selbst ist schwanger, eine Schwangerschaft, die ihn neu zur Welt bringt, sondern er selbst trägt diesen neuen Glauben aus.
Und dieser Glaube ist verwirrend und chaotisch. Kein Wunder, dass Nikodemus Fragen im Kopf hat und Jesus um Hilfe bittet, denn dieser Glaube denkt alles in dreifacher Ausführung. Da gibt es Gott den Schöpfer, Jesus Christus, sein eigenes besonderes Geschöpf und die heilige Schöpfungskraft.
Da gibt es Gott, der die Menschen liebt, da gibt es Jesus Christus, der wie kein anderer für diese Liebe einsteht und diese bis in den Tod verteidigt und da gibt es den Heiligen Geist, der die Liebeskraft an sich ist.
Puh, das ist ganz schön viel auf einmal, und es ist für mich immer noch sehr chaotisch und verwirrend Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist zusammen zu denken.
Es ist dann eben doch wie bei einer richtigen Geburt. Da kann man sich vorbereiten wie man will, Übungen machen, sich versuchen zu entspannen. Den genauen Termin für die Geburt den kann man nicht bestimmen. Auch beim Glauben ist das so. Wie wir zum Glauben kommen, das ist nur bedingt in unserer Hand. Nikodemus ist schwanger und bereit für die Geburt, aber die Geburt an sich und wie dieser Glaube geboren wird, das bleibt ein Geheimnis, denn das wirkt der Heilige Geist. Und der wird nicht ohne Grund mit Wind in Verbindung gebracht, und Wind ist nicht nur ein laues Lüftchen, der kann auch ein ganz schöner Sturm sein. Und so geht es wahrscheinlich gerade bei Nikodemus, da ist ein ordentlicher Sturm, der seinen ganzen alten Glauben durcheinander wirbelt und noch nicht klar ist, was bleibt davon übrig und was entsteht auch ganz neu.
Und so ein Chaos tut auch mal richtig gut. Friedrich Nietzsche wird knapp 2000 Jahre später sagen: Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Chaos, Lebenskrisen, Zweifel im Glauben sind wie Tornados, die alles aus den Angeln heben. Doch wenn sich der Sturm wieder legt, dann können wir das Leben mit neuen Augen sehen, haben Platz für Veränderung.
Nikodemus geht schwanger durch die Nacht. Der Heilige Geist weht stürmisch in seinem Kopf, damit er die Welt mit neuen Augen sehen kann. Und am Himmel beginnt der Morgenstern an zu funkeln. Amen
Vikar Jonathan Kohl