Andacht zum Pfingstsonntag 2021

Andacht zum Pfingstsonntag 2021

Apostelgeschichte 2,1-18

Liebe Gemeinde,

hätten Sie auch so gerne schon einmal Mäuschen gespielt? Das sagt man ja so, wenn man liebend gerne mal bei einer Situation dabei gewesen wäre und sich überzeugen könnte, ob das denn wirklich alles so geschehen ist, wie man das gehört oder erzählt bekommen hat.

Wir feiern heute Pfingsten. Das 3. große christliche Fest, nach Weihnachten und Ostern, das aber bei vielen Menschen zunehmend aus dem Blick gerät und sie gar nicht mehr wissen, was wir da eigentlich feiern. Das hat mal wieder gestern eine Umfrage in den Nachrichten bewiesen: ratlose Gesichter bei der Frage nach Pfingsten. Was war da nochmal?

Ach ja: die Ausgießung des Heiligen Geistes. Sagt mir nichts, kann ich nichts mit anfangen, so die Reaktionen der Menschen gestern in der Umfrage.

Wie kommt das? Vielleicht weil dieses Fest ja schon rein zeitlich im Jahr ganz anders gewichtet wird als Weihnachten und Ostern. Auf Weihnachten bereiten wir uns mehrere Wochen in der Adventszeit vor. Genauso auf Ostern in der Passionszeit. Pfingsten, puh. Dem Fest widmen wir gerade mal eine Woche. Nächsten Sonntag beginnt schon die Trinitatiszeit.

Vielleicht aber auch, weil das, was damals passiert ist, so unglaublich im wahrsten Sinne des Wortes war, so unvorstellbar, dass man das Geschehen über die Jahrhunderte bis heute so ziemlich verdrängt hat?

Was hätten wir als Mäuschen damals vor 2000 Jahren erlebt und wovon könnten wir heute berichten, wenn wir tatsächlich dabei gewesen wären?

Der Verfasser der Apostelgeschichte erzählt es so:

Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle an einem Ort beieinander. Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen; und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an zu predigen in anderen Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen.

   Es wohnten aber in Jerusalem Juden, die waren gottesfürchtige Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. Als nun dieses Brausen geschah, kam die Menge zusammen und wurde bestürzt; denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden. Sie entsetzten sich aber, verwunderten sich und sprachen: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, aus Galiläa? Wie hören wir denn jeder seine eigene Muttersprache? Parther und Meder und Elamiter, und die wir wohnen in Mesopotamien und in Judäa und Kappadozien, Pontus und der Provinz Asien, 10 Phrygien und Pamphylien, Ägypten und der Gegend von  Kyrene in Lybien und Einwanderer aus Rom, 11 Juden und Judengenossen, Kreter und Araber: wir hören sie in unseren Sprachen von den großen Taten Gottes reden.

   12 Sie entsetzten sich aber alle und wurden ratlos und sprachen einer zu dem andern: Was will das werden? 13 Andere aber hatten ihren Spott und sprachen: Sie sind voll von süßem Wein. 14 Da trat Petrus auf mit den Elfen, erhob seine Stimme und redete zu ihnen: Ihr Juden, liebe Männer, und alle, die ihr zu Jerusalem wohnt, das sei euch kundgetan, und lasst meine Worte zu euren Ohren eingehen. 15 Denn diese sind nicht betrunken, wie ihr meint, ist es doch erst die dritte Stunde am Tage; 16 sondern das ist’s, was durch den Propheten Joel zuvor gesagt ist: 17 „Und es soll geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, da will ich ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch; und eure Söhne und eure Töchter sollen weissagen, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen, und eure Alten sollen Träume haben; 18 und auf meine Knechte und auf meine Mägde will ich in jenen Tagen von meinem Geist ausgießen, und sie sollen weissagen.

Liebe Gemeinde, ob wir das Erlebte, wären wir wie ein Mäuschen dabei gewesen, heute genauso erzählen würden, ich weiß es nicht. Ob sich das haargenau so zugetragen hat damals, wir wissen es nicht. Das ist aber auch gar nicht so wichtig. Viel wichtiger ist etwas ganz anderes: etwas, was wir als Mäuschen hätten spüren können. Und das hätte dann zur Folge, dass wir etwas sicherlich heute hier und jetzt tun würden:

Im wahrsten Sinne des Wortes begeistert davon erzählen, welche Auswirkungen die Geschehnisse von damals auf die Menschen hatten. Welche Bewegung da losgetreten wurde, welcher Wind da auf einmal in der Kirche Jesu wehte, wie die Menschen auf einmal Feuer und Flamme für die Sache Jesu waren. Da war ein Wunder geschehen, etwas Unvorstellbares, etwas Ungeheuerliches, das die Menschen völlig für sich eingenommen und fasziniert hat. Da war nach all der Trauer um Jesus, nach all der Hoffnungslosigkeit, dass er seit Himmelfahrt schon wieder weg war,  nach all den Fragen: was soll denn jetzt ohne Jesus aus uns werden?,  auf einmal ein Leben, eine Hoffnung, eine Freude in der Bude, von der die Freunde Jesu nicht mal mehr nach den ganzen Ereignissen zuvor zu träumen gewagt hätten.

Davon könnte unser Mäuschen sicher berichten. Wie ansteckend dieser frische Wind war, der da auf einmal wehte. Und wie die Menschen sich anstecken ließen von der Sache Jesu, wie sie ihr Leben in seinem Sinn leben wollten und sich zu Hauf taufen ließen. Alle an einem Tag. Wie da auf einmal eine Bewegung da war, die bis heute anhält.

Ja, liebe Gemeinde, wäre es nicht gut, wenn das Mäuschen heute hier mal von diesen Ereignissen berichten könnte und uns mitreißen würde?

Denn ist es nicht sehr still um unseren Glauben und unserer Kirche geworden. Da meine ich jetzt nicht nur die letzten anderthalb Jahre wegen Corona. Die auch. Aber so grundsätzlich:

Da beherrschen die Kirchenaustrittszahlen die Diskussionen, die maroden Gebäude, deren Sanierungen nicht mehr zu stemmen sind. Da lassen Eltern nicht mehr selbstverständlich ihre Kinder taufen. Jugendliche gehen nicht mehr selbstverständlich zur Konfirmation. Gottesdienst – am Sonntag???? Ne, geht gar nicht. Familie geht vor. Bringt mir nichts.

Kirche heute ist straff durchorganisiert, sie wird verwaltet, Gremien entscheiden, was zu tun ist, wie kirchliches Leben gelebt wird, Finanzen machen etwas möglich oder eben nicht und sogar im Gottesdienst muss alles seine Ordnung haben. Für Spontanes, ausgelöst durch die Kraft des Heiligen Geistes, ist da noch Platz?

Und wenn doch, wenn tatsächlich etwas ganz Ungeheuerliches geschehen würde fernab aller Normen und Ordnungen? Nun ja, dann gäbe es vermutlich eine Krisensitzung des Presbyteriums, irgendwer würde es der Presse stecken und mindestens der Superintendent bekäme auch Meldung.

Oh je, liebe Gemeinde, ganz schön düster und lähmend, dieses Bild der Kirche, wie es von vielen heutzutage so wahrgenommen wird. Da mag keine rechte Begeisterung aufkommen.

Gar nicht so unähnlich der Situation der Menschen damals bei ersten Pfingstfest. Da war auch die Luft raus. Resignation machte sich breit. Und jetzt? Ohne Jesus? Geht das überhaupt weiter? Oder sind wir am Ende der Fahnenstange angekommen?

Nun ja, damals ging die Geschichte weiter. Und wie! Wir haben ja davon gehört. Ungeheuerliches hat sich breit gemacht, das Undenkbare, das Unvorstellbare hatte sich durch Gottes Geist einfach Raum verschafft. Einfach so. Und es hat sich weiter seinen Weg gebahnt entgegen aller Regeln und Ordnungen, die es sicher damals auch schon gab.

Und unsere Geschichte heute? Was ist mit unserem Pfingsten? Gemeindliches Leben wie damals beim ersten Pfingstfest, wo Außenstehende vermuten mussten: die sind ja alle betrunken, so auch bei uns heute? Das soll jetzt die Lösung sein? Auweia, liebe Gemeinde. Unvorstellbar! Zumindest hier bei uns in Deutschland in unserer Volkskirche. Das wäre mindestens wieder ein Artikel in der Presse wert. Geht gar nicht.

Aber was dann? Eine Patentlösung auf all diese Fragen gibt es nicht. Die können wir auch gar nicht geben, weil wir dann ja schon wieder ausschließen, dass Gott durch seinen Geist Neues voller Energie möglich machen kann. Wie damals.

Liebe Gemeinde, ich wünsche uns allen aber etwas. Ich wünsche uns Vertrauen! Ich wünsche uns Gelassenheit! Ich wünsche uns Zuversicht! Und daraus resultierend immer wieder Kraft, Feuer und Flamme sein, Begeisterung für die Sache Jesu! Warum?

Weil wir wissen dürfen, dass das Versprechen Jesu an seine Freunde damals vor seiner Himmelfahrt, er werde einen Tröster schicken, den Heiligen Geist, der zeigt: Gott ist da und bleibt treu an der Seite der Menschen, der wird weiter für Bewegung sorgen, dass dieses Versprechen auch uns bis heute gilt!

Die Freunde Jesu damals waren so verzweifelt, dass sie es überhört hatten. Bis Gott durch Jesus sein Versprechen wahr gemacht und die Menschen mit dem Heiligen Geist gestärkt hat. So sehr, dass eine Welle der Begeisterung losgebrochen ist und sich die Botschaft Jesu rasend schnell in die Welt verbreitet hat.

Dass auch bei uns  eigentlich ganz viel Luft nach oben da ist, dass auch uns irgendwie die Zuversicht unseres Glaubens, die Zuversicht auf Gottes rettendes Eingreifen irgendwie abhandengekommen ist, dass da eigentlich ganz viel Raum für Neues wäre, das spüren wir doch auch. Da ist eine Sehnsucht nach Lebendigkeit und Begeisterung in uns, die wir so gerne befriedigt hätten und es irgendwie aus uns heraus nicht schaffen.

Ich glaube deshalb, wir haben das Versprechen Jesu von damals auch nicht mehr wirklich auf dem Schirm. Haben uns eher damit abgefunden, dass es ruhiger um unseren Glauben und unserer Kirche wird. Dass Menschen sich eben nicht mehr begeistern lassen und der Kirche den Rücken zuwenden.

Liebe Gemeinde, da sind wir in einer ganz ähnlichen Situation wie die Menschen damals.

Aber nochmal und immer wieder: seit Pfingsten damals dürfen wir wissen:

Wir müssen gar nicht alles alleine stemmen. Weiter im Glauben und als Kirche Jesu unterwegs zu sein, das brauchen wir gar nicht alleine zu tun. Da wären wir ganz schön verloren. Wie die Menschen damals.

Nein, seit damals dürfen wir darauf vertrauen , dass Gottes Geist auch bei uns wehen will und wird, dass Gott da immer für eine Überraschung gut ist, dass er Kraft und Energie schenkt, um zu neuen Ufern aufbrechen zu können, in diesem Vertrauen können wir uns ganz getrost auf die Wege unseres Glaubens und unserer Kirche begeben, die eingeschlagen werden müssen in unserer Zeit heute. Ausgestattet mit diesem Geist und seiner Kraft schaffen wir dann Neues, das andere mitreißen kann und auch wird. Da bin ich sicher. Denn die Sache Jesu braucht Begeisterte. Immer wieder neu. Uns daran zu erinnern, dafür ist Pfingsten da. Amen

Pfarrerin Anja Humbert

Andacht zu Pfingstsonntag 2021