Predigt zum Buch Jona am 1. Sonntag nach Trinitatis 2021

Dom von Ravello, Mosaik an der Kanzel 1130, Foto T. Baumann

Predigt zum Buch Jona am 1. Sonntag nach Trinitatis 2021

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen

Liebe Gemeinde,

„Da waren Sie aber in keiner schönen Mission unterwegs, Frau Pfarrer“, so meinten einmal die Damen unserer Frauenhilfe zu mir, als wir einige Situationen von Seniorenfreizeiten reflektierten.

Was war da geschehen, dass die Damen zu diesem Fazit kamen? Nun, ich musste entweder einer Freizeitteilnehmerin oder einem Freizeitteilnehmer eine Todesnachricht überbringen. Diese Situationen gab es leider in den vielen Jahren unserer Seniorenfreizeiten immer wieder: Während wir zu einem unbeschwerten Seniorenurlaub aufgebrochen waren und uns in unserer schönen Freizeitgemeinschaft wohlfühlten, starb zuhause von einer Teilnehmerin oder einem Teilnehmer ein naher Angehöriger. Dann kam in der Regel ein Anruf von der Familie, dass man sich jetzt auf den Weg zum Freizeitort mache, dass ich aber bitte die Oma oder den Opa schon mal schonend auf das, was da dann ausgesprochen werden muss, vorbereiten solle.

Und dann, liebe Gemeinde, atmet man einmal tief durch, überlegt sich das weitere Vorgehen und die Worte, die dann hoffentlich die richtigen sind. Nach so vielen Jahren jetzt im Amt ist eine solche Mission immer noch schwierig und niemals schön, aber man kann damit umgehen.

Ganz zu Beginn meiner Amtszeit, da war das viel, viel schwieriger. Da hat man gegrübelt, hin und her überlegt, Worte gesucht und wieder in Gedanken verworfen, darum gerungen, wie man das Gespräch jetzt seelsorgerlich gut gestalten könnte. Und manches Mal ganz am Anfang des Dienstes hat man auch gedacht: Puh, wenn Du jetzt Hilfe hättest und da nicht ganz alleine durch müsstest, wenn jemand Erfahrenes an Deiner Seite mitgehen oder die Mission gar übernehmen würde, das wäre eine Erleichterung. Aber da musste ich durch. Und das war und ist bis heute keine Aufgabe, um die man sich reißt, aber sie ist uns aufgetragen und gehört selten, aber immerhin, zu unserem Pfarralltag dazu: In keiner schönen Mission unterwegs zu sein.

Vielleicht kennen Sie auch solche Situationen, wo Gespräche anstanden, die man gerne vermieden hätte, die aber jetzt einfach notwendig waren?

Wenn eine schlechte Diagnose des Arztes vermittelt werden muss und jemand erfährt, sehr schwer, ja vielleicht unheilbar erkrankt zu sein.

Wenn es dem Betrieb so schlecht geht, dass Kündigungen ausgesprochen werden müssen.

Wenn ein Nachbarschaftsstreit eskaliert und man als letzten Versuch doch noch das klärende Gespräch sucht.

Wenn es Sorgen mit dem Nachwuchs gibt, der auf Distanz geht, und man nicht recht weiß, wie man noch an ihn herankommen soll?

Wenn man mit den Eltern überlegen muss, ob das Seniorenheim nicht doch eine sinnvolle Alternative wäre.

Liebe Gemeinde, Ihnen gehen vielleicht jetzt eigene Beispiele durch den Kopf, wo Sie mal in Gespräche involviert waren, die eben erstmal keine „schöne Mission“ waren.

Auch die Bibel ist voll mit Menschen, die sich damit konfrontiert sahen: ein Gespräch führen zu müssen, das nicht leicht werden würde.

Jona war einer von ihnen.

Er bekam einen Auftrag. Jetzt nicht von einem anderen Menschen oder einer ganzen Familie, sondern von Gott selbst.

„Mache dich auf und geh in die große Stadt Ninive und predige wider sie!“ So geschah das Wort des Herrn zu Jona. So heißt es im Buch Jona.

Auweia, liebe Gemeinde. In Jonas Haut damals möchte, so meine ich, keiner von uns gesteckt haben. Nach Ninive sollte er. Ausgerechnet das heidnische, gottlose Ninive! Die Stadt, in der Mord und Totschlag herrschten, sich überhaupt niemand um Gottes Gebote scherte, in der es zuging wie seinerzeit in Sodom und Gomorrha. Wo die Einwohner sicher nicht davor zurückschrecken würden, mit unliebsamen Gästen kurzen Prozess zu machen.

Mache dich auf und predige wider sie! Sagt Gott zu Jona. Jona rutscht das Herz in die Hose. Was verlangt Gott da von ihm? Alles würde er tun. Aber nach Ninive? Wo er um sein Leben fürchten muss? „Nein, lieber Gott, bitte nicht. Das kann ich nicht. Das geht über meine Kraft. Ich bin doch nur ein kleiner Wicht und soll dort gegen die Bosheit einer übermächtigen Herrschaft predigen? Ich kann nicht. Such jemand anderen, Gott!“, vielleicht waren das Jonas Gedanken.

Liebe Gemeinde, Gott nimmt den Auftrag nicht zurück. Gott wollte nicht, dass das Handeln dieser Stadt mit seiner ganzen Boshaftigkeit in einer Katastrophe endet. Da musste jetzt jemand hin, der dem energisch Einhalt gebietet.

Und so geht Jona. Klein, unsicher, überfordert ob dieser Mission, verängstigt, ratlos. Er geht, aber genau in die entgegengesetzte Richtung. Versucht vor Gott und dieser schier unlösbaren Aufgabe zu fliehen. Er geht nach Tarsis. Vermutlich mit schlechten Gewissen. Aber er kann jetzt in dieser Situation einfach nicht anders.

Mir macht das den Jona sehr sympathisch, liebe Gemeinde. Ein gottesfürchtiger Mann, der in dieser Situation einmal an die Grenze seines Gottvertrauens kommt und sich nicht vorstellen kann, dass Gott ihn aus dieser Aufgabe in Ninive zu predigen, heil wieder herauskommen lassen wird. Jonas Angst ist größer als sein Glaube da, wo er um sein Leben fürchten muss. Ich kann ihn da verstehen. Er ist kein Glaubensheld, er reagiert einfach menschlich.

Jona besteigt ein Schiff. Bloß weg, weit weg von Gott und diesem unerträglichen Auftrag. In der Hoffnung, dass Gott ihn so nicht mehr findet.

Und doch, liebe Gemeinde, hören wir im Verlauf des Jonabuches, dass Jona am Ende in Ninive ankommt und der Stadt das Gericht Gottes predigt. Irgendetwas muss auf der Flucht vor Gott und diesem Auftrag geschehen sein, was Jona die Kraft gibt, umzukehren im wahrsten Sinne des Wortes und seine Mission bei den Einwohnern Ninives zu erfüllen.

Was war geschehen? Nun, die Geschichte kennen wir alle noch aus unseren Kindergottesdiensttagen.

Da wissen wir noch, dass das mit der Flucht auf einem Schiff weg von Gott nichts geworden ist. Ein furchtbarer Sturm kommt auf und das Schiff droht zu sinken. Jona, der erst seelenruhig schläft, und dann von den panischen Mattrosen geweckt wird, ahnt sofort, dass dieser Sturm kein normaler ist und etwas mit ihm zu tun hat. Er bittet die Seeleute, ihn über Bord zu werfen.

Die tun das nach langem Zögern und schlagartig ist Ruhe. Das Schiff geht nicht unter und Jona findet sich wundersamer Weise im Bauch eines großen Fisches wieder. Drei Tage befindet er sich darin. Dunkel und stickig ist es da und Jona hat, nachdem die erste Panik überwunden war, sehr viel Zeit zum Nachdenken. Über sich, den Auftrag, seinen Glauben und sein Verhältnis zu Gott. Er beginnt zu beten, vertraut Gott seine Gedanken an, seine Not, seine Zweifel, seine Angst.

„Ich rief zu dem Herrn in meiner Angst, und er antwortete mir. Ich schrie aus dem Rachen des Todes, und du hörtest meine Stimme. Du warfst mich in die Tiefe, mitten ins Meer, dass die Fluten mich umgaben. Alle deine Wogen und Wellen gingen über mich, dass ich dachte, ich wäre von deinen Augen verstoßen, ich würde deinen heiligen Tempel nicht mehr sehen. Wasser umgaben mich und gingen mir ans Leben.“

Liebe Gemeinde, und genau jetzt geschieht das Wunderbare der Jonageschichte. Jona wird im Gebet ruhiger, spürt, dass Gott bei ihm ist, er vertraut auf einmal wieder und möchte nicht mehr weglaufen, sondern jetzt die unangenehme Mission auf sich nehmen.

Ich vermute, Jona ist ein Riesenstein vom Herzen gefallen. Es war ihm jetzt klar, was er zu tun hatte und dass es da kein Davonlaufen gab. Denn das würde das Problem ja nicht lösen, sondern nur verschleppen oder gar verschlimmern.

Das wissen wir doch auch: Wo wir im tiefsten Innern spüren, hier müsste dringend ein offenes und klärendes Gespräch her, weil die Situation sonst völlig eskaliert oder man am Ende gar nicht mehr miteinander spricht. Und doch weichen wir dem wie der Jona allzu gerne aus. Solche Gespräche führt keiner gerne. Aber sie müssen sein.

Und, das zeigt die Jonageschichte: Wir sind dabei nicht alleine! Gott selbst holt uns aus dem Chaos, aus unseren Ängste, Überlegungen und Widerstände heraus hinein in ruhigere Fahrwasser. Gott selbst zeigt: Flucht vor der unangenehmen Mission ist gar keine Lösung. Nein, das Problem angehen, voller Vertrauen auf Gott und seine Hilfe, das ist der richtige Weg.

Jona fasst neues Zutrauen und Mut und findet am Ende offensichtlich die richtigen Worte für die Stadt Ninive. Sie tut daraufhin als Ganze geschlossen Buße und Gott verschont sie mit seinem Gericht. Jonas schlechte Mission ist zu einer guten für Ninive geworden. Er überlebt und wird nicht dem Mob der Einwohner ausgeliefert.

Ende gut, alles gut? Nicht ganz, liebe Gemeinde!

Nun könnte Jona stolz auf sich sein, alles richtig gemacht, sein Prophetenamt im Sinne Gottes richtig gut ausgeübt. Aber nein, Jona ist sauer, stinksauer. Kommt überhaupt nicht damit klar, dass Gott bei Ninive Gnade vor Recht walten lässt und die Stadt für ihre unglaublichen Bosheiten, die sie bis zur Predigt Jonas Tag für Tag gelebt hatte, verschont, als wäre nichts gewesen.

Jona ist so enttäuscht von Gottes scheinbar ungerechtem Handeln, dass er sterben möchte. So schwermütig waren seine Gedanken, dass er sich noch nicht mal daran erinnerte, dass Gott an ihm genauso gnädig gehandelt hatte: War er nicht ungehorsam und damit schuldig geworden, weil er vor Gott geflohen war? Und hatte Gott ihn nicht trotzdem voller Liebe und Gnade durch den Fisch gerettet?

Noch einmal, liebe Gemeinde, bewahrt Gott seinen Propheten, der sich zum Sterben in die sengende Hitze der Wüste zurückgezogen hatte, durch das Wachsen eines schattenspenden Baumes. Und gibt Jona eine Lektion mit auf den Weg, indem er den Baum sofort wieder zerstört und Jona so der gleisenden Sonne erneut aussetzt.

Jetzt ist Jona wieder sauer: „Was soll das, Gott? Warum machst du das mit mir?“

Nun, Gott wollte Jona in einer ganz einfachen Lektion zeigen, dass seine Liebe, Fürsorge und Gnade den Menschen immer gilt, auch den schuldig Gewordenen.

Vielleicht hat er so zu Jona gesprochen: „Da gehörst Du, Jona, mit Deiner Wut über mein gnädiges Handeln an Ninive auch dazu. Wenn Deine Theorie von meiner, Gottes Gerechtigkeit richtig wäre, müsste ich Dich dafür eigentlich bestrafen. Dann hätte ich keinen Fisch schicken dürfen und keinen schattigen Baum wachsen lassen müssen. Das war meine Gnade an Dir, Jona. Und diese Gnade sprichst du den Einwohnern Ninives ab? So geht es nicht! Sie gilt allen Menschen gleich, Jona!“

Ob Jona letztlich wieder ganz seinen Frieden mit Gott gefunden hatte, wissen wir nicht. Es bleibt zu hoffen, dass er verstanden hat, was auch für uns heute die Botschaft seiner Geschichte ist, nämlich zweierlei:

Dass wir einen Gott haben, der Mitgefühl auch mit den schuldig gewordenen Menschen hat wie den Einwohnern Ninives und jedem gnädig begegnen will, der seine Fehler einsieht. Ob uns das jetzt gefällt oder nicht.

Und dass wir auch das noch so schwierige Gespräch führen sollten oder noch so aussichtslose Problem angehen können im Vertrauen darauf, dass Gott auch hier bei uns ist und alles zum einem Guten wenden möchte.

Mit Gottes Hilfe kann das gelingen, dass wir vor diesen Aufgaben nicht mehr fliehen möchten, sondern die Kraft bekommen, uns ihnen zu stellen. Und Gott am Ende daraus Gutes werden lässt. Amen

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere menschliche Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus, unsrem Herrn. Amen

Pfarrerin Anja Humbert

1. Sonntag nach Trinitatis 2021