Predigt am 3. Sonntag nach Trinitatis 2021

Predigt zu Lukas 15, 1-10

Es nahten sich Jesus aber alle Zöllner und Sünder, um ihn zu hören. Und die Pharisäer und Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen.

Jesus sagte aber zu ihnen dies Gleichnis und sprach: Welcher Mensch ist unter euch, der hundert Schafe hat und, wenn er eins von ihnen verliert, nicht die neunundneunzig in der Wüste lässt und geht dem verlorenen nach, bis er’s findet? Und wenn er’s gefunden hat, so legt er sich’s auf die Schultern voller Freude. Und wenn er heimkommt, ruft er seine Freunde und Nachbarn und spricht zu ihnen: Freut euch mit mir; denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war. Ich sage euch: So wird auch Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, mehr als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen.

Oder welche Frau, die zehn Silbergroschen hat und einen davon verliert, zündet nicht ein Licht an und kehrt das Haus und sucht mit Fleiß, bis sie ihn findet? Und wenn sie ihn gefunden hat, ruft sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen und spricht: Freut euch mit mir; denn ich habe meinen Silbergroschen gefunden, den ich verloren hatte. So, sage ich euch, wird Freude sein vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut.        

Jesus macht Ärger.

Er lädt die falschen Leute ein und setzt sich mit den falschen Leuten an einen Tisch. Die falschen Leute – das sind die Menschen, bei denen Hopfen und Malz verloren ist. Leute, die vom rechten Weg abgekommen und auf die falsche Bahn geraten sind. Leute, die der Gemeinschaft schaden und sich selbst dadurch ausgrenzen. Leute, mit denen man besser nichts zu tun haben sollte. Die Leute, zu denen man auf Abstand gehen sollte, heißen dort „Sünder und Zöllner“. Diejenigen, die sich ärgern über Jesus, sind Pharisäer und Schriftgelehrte, Gesetzestreue und Theologen. Aber es können auch wie in der Geschichte vom Zöllner Zachäus, bei dem Jesus einkehrt, genauso gut die anständigen Bürger sein. Entscheidend ist immer: Jesus macht Ärger.

Jesus macht Freude.

Als Antwort auf den Vorwurf, er setze sich mit den falschen Leute an einen Tisch, erzählt Jesus zwei Gleichnisse. Im ersten Gleichnis stellt ein Hirte fest, dass er eines von seinen hundert Schafen verloren hat. Darauf verlässt er die anderen 99 Schafe  und macht sich auf die Suche nach dem einen verirrten Schaf. Als er es gefunden hat und heimkommt, ruft er zu seinen Freunden und Nachbarn: Freut euch mit mir, denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war. Im zweiten Gleichnis besitzt eine Frau zehn Silbermünzen und vermisst davon eine. Sie stellt das Haus auf dem Kopf und hört mit der Suche nicht auf, bis sie die eine Silbermünze gefunden hat. Darauf ruft auch sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen zusammen: Freut euch mit mir, denn ich habe meine Silbermünze gefunden, den ich verloren hatte.

Das erste Gleichnis kommentiert Jesus mit den Worten: So wird auch Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, mehr als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen.

Sein Kommentar zum zweiten Gleichnis fällt ähnlich aus: So, sage ich euch, wird Freude sein vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut.

Jesus macht also nicht nur Ärger. Er macht auch Freude – zumindest im Himmel. Was bei Menschen auf Erden Ärger macht, macht im Himmel bei Gott Freude. Jesus macht Ärger, indem er die Sünder, die Verlorenen und Verirrten, zu sich einlädt und mit ihnen Tischgemeinschaft hat. Aber er bereitet damit auch Freude. Genaugenommen freut sich der Himmel nicht über ihn, sondern über die Gesuchten und dann auch Gefundenen.

Die Umkehr der Verirrten und Verlorenen macht Freude.

Das missverständliche Wort „Buße“ kann man besser mit „Umkehr“ wiedergeben. Diese Umkehr besteht erst einmal gar nicht in einer großen moralischen Besserung, in einer Integrationsleistung, in Bußübungen oder ähnlichem. Sie geschieht, indem sich die Verlorenen und Verirrten von Jesus einladen lassen, mit ihm an einem Tisch sitzen und essen. Doch das ist nicht alles. Die Umkehr, die im Himmel Freude auslöst, ereignet sich vor allem dadurch, dass die Gescheiterten und Verstoßenen, all diese hoffnungslosen Fälle auf Jesus hören. Umkehr bedeutet also konkret, sich von Jesus etwas sagen zu lassen und sich auf sein Wort einzulassen. Die Umkehr, die hier gemeint ist, ist also keine Sache eigener großer Worte oder eigener großer Taten, sondern kommt aus dem Hören auf diesen Menschen Jesus.

Umkehr ist die Wende vom sinnlosen Gerede zu seinem wegweisenden Wort, die Wende von den Vorwürfen und Selbstvorwürfen zu seinem  freisprechenden Wort, die Wende vom hilflosen Selbstgespräch zu seinem rettenden Wort.

Aber warum geschieht die Umkehr gerade im Hören auf Jesus? Auf den ersten Blick könnte man auf die Idee kommen, weil nur er sich mit den Sündern und Zöllnern, mit den Gesetzesübertretern und Verachteten an einen Tisch setzen will. Das mag sein. Aber die Verirrten und Verlorenen hören offenkundig auch nur bei ihm, was es sonst von keinem anderen zu hören gibt.

Vielleicht sehen wir klarer durch den Einblick, den Jesus am Ende seiner Gleichnisse eröffnet. Wir bekommen Einblick in den für uns unsichtbaren und verschlossenen Himmel. Der Himmel, den Jesus meint, stellt sich ganz anders dar als in so manchen Filmen oder Karikaturen. Er ist kein steriler und abgekapselter Raum, von dem aus die Erde aus großer Distanz nur beobachtet wird, wie eine Raumstation, die um die Erde kreist. Der Himmel, den Jesus meint, nimmt am Leben auf der Erde teil. Er ist kein starrer Zustand, sondern in Bewegung. Ja, dieser bewegte Himmel ist eine große Rettungsunternehmung für das bedrohte, verirrte und verlorene Leben auf der Erde. Vom Himmel her geht eine große Suchbewegung zur Erde, ein Suchen nach den Verirrten und Verlorenen.

Dieses rettende Suchen Gottes nach seiner Schöpfung wird im Handeln Jesu sichtbar und erfahrbar. Er ist mit seiner ganzen Person dieses Suchen Gottes. Im Wochenspruch sagt Jesus von sich selbst, er sei gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist. Was die Verirrten von Jesus zu hören bekommen, ist kein Vortrag über Moral und Anstand, sondern Gottes Ruf, zu ihm, der Quelle des Lebens, heimzukehren. Was all diese hoffnungslosen Fälle durch Jesus erfahren, ist mehr als Mitleid oder Mitmenschlichkeit, sondern Gottes Zuwendung zu ihnen. Zu Gott kehren sie zurück, weil er sie gesucht und gefunden hat. Ihre Umkehr ist ihre Heimkehr zum lebendigen Gott, zum Ursprung des Lebens.

Schon beim Propheten Ezechiel spricht Gott: „Ich habe kein Gefallen am Tod des Gottlosen, sondern dass der Gottlose umkehre von seinem Wege und lebe.“ Die Umkehr, die im Himmel Freude macht, ist die Wende vom Tod zum Leben. Auf unsere beiden Gleichnisse vom verlorenen Schaf und vom verlorenen Silbergroschen folgt das bekannte Gleichnis vom verlorenen Sohn. Als der in der Fremde verlorengegangene Sohn wieder heimgekehrt, ruft der Vater voller Freude aus: „Dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden.“

Was Leben ist, kommt bei dieser Wende vom Tod zum Leben heraus. Für die Bibel ist der Tod nicht bloß das physische Aufhören eines Organismus, sondern Beziehungslosigkeit, Isolation, Verlassenheit. Da ist es erst einmal egal, ob man sich selbst isoliert oder isoliert wird, sich selbst ausgrenzt oder ausgegrenzt wird. In unserer Welt, wie wir Menschen sie uns gemacht haben, kann man sich schnell verirren und verlorengehen. Der Tod reicht also ins Leben und übernimmt die Macht über das Leben. Er ist dann noch einmal in schärfster Form Gottverlassenheit, Gottesferne, das Fehlen jeder Gemeinschaft mit Gott. So ist dann auch die Wende vom Tod zum Leben die Wende von der Gottesferne zur Gottesnähe, von der Isolation von Gott zur Gemeinschaft mit ihm, von der Verlassenheit zur Geborgenheit.

Damit wird auch der tiefere Grund für die große Freude im Himmel erkennbar. Warum diese Wende vom Tod zum Leben, so große Freude im Himmel auslöst, ist die Lebensfreude Gottes. Diese Lebensfreude Gottes besteht nicht allein darin, dass sich der lebendige Gott seines Lebens freut. Er will sein Leben doch auch seiner Schöpfung mitteilen und mit ihr zusammenleben. Er freut sich damit vor allem über das Leben seiner Geschöpfe, über unser aller Leben. Diese Wende vom Tod zum Leben ist sein Lebenswille für uns. Darum ist Umkehr keine todernste Sache, sondern ein fröhliches, ein freudiges Ereignis. Umkehr ist dann eben immer auch die Wende von der Lebensverneinung zur Lebensbejahung, von der Freudlosigkeit zur Lebensfreude.

Über das Gleichnis vom verlorenen Schaf haben auch mit unsere Konfirmandinnen und Konfirmanden gesprochen. Ihnen ist auch aufgefallen, dass hier eine Minderheit einer Mehrheit gegenübersteht, ja ein einzelnes Schaf gegenüber den 99 anderen Schafen. Sie haben es so verstanden, dass niemand zurückgelassen werden soll. Es kommt Gott auf jeden Einzelnen und jede Einzelne an, und seien sie noch so weit abgeirrt von ihm. Darum muss auch niemand von sich selbst denken, er sei für alle Zeiten ein hoffnungsloser Fall, für immer im Stich gelassen und endgültig verloren.

Jesus macht Ärger. Jesus macht Freude.

Wo finden wir uns wieder?

Der Ärger entzündet sich nicht an den Verirrten und Verlorenen, sondern an der bedingungslosen Zuwendung Jesu zu ihnen. Es geht nicht um den Ärger über Leute, mit denen man nichts zu tun haben will. Der Vorwurf richtet sich unmittelbar gegen Jesus, aber dann indirekt auch gegen die bedingungslose Liebe und Gnade Gottes, für die Jesus steht und eintritt. Freude macht es dagegen Gott, wenn sich Menschen von ihm finden lassen, zu ihm umkehren und von ihm das Leben empfangen. Was ich hier von der Umkehr gesagt habe, also über die Wende vom sinnlosen Gerede zum Hören auf Jesus, über die Wende vom Tod zum Leben und dann auch zur Lebensfreude, das ist doch nichts anderes als die Wende vom Unglauben zum Glauben. Denn Glauben heißt nicht, Sätze über Gott für wahr zu halten, sondern sich ganz auf Gott zu verlassen und sich ihm anzuvertrauen.

Wo finden wir uns wieder?

Es kommt nicht darauf an, in welcher Gruppe wir uns wiederfinden, ob wir uns zu den Verirrten und Verlorenen zählen oder bei den Leuten sehen, die zu ihnen auf Abstand gehen. Es geht nicht um richtige oder falsche Moral, nicht darum, aus sich einen Verirrten und Verlorenen zu machen oder mit ihnen solidarisch zu sein. Jesus sagt nicht, dass die Sünder keine Sünder sind. Er stellt sie nicht als Opfer der Gesellschaft dar und entschuldigt sie damit. Er hebt hier auch nicht seinen moralischen Zeigefinger gegen die, die ihren moralischen Zeigefinger gegen die Sünder erheben. Darum geht es hier gar nicht.

Wo finden wir uns wieder?

Es kommt darauf an, dass wir uns vor Gott wiederfinden. Es kommt allein auf den Gott an, der uns in Jesus begegnet. Auf sein Suchen und Finden kommt es an, auf seine bedingungslose Liebe und Gnade, von der wir alles erwarten dürfen, auf sein Ja zum Leben, auf seinen Ruf zur Heimkehr zu ihm, auf die Lebensfreude und den Lebenssinn und vieles mehr, was wir aus der Quelle allen Lebens empfangen dürfen. Genau darauf kommt es zu allererst an. Alles andere wird sich daraus ergeben. Amen

Pfarrer Hans-Peter Lauer

Predigt am 3. Sonntag nach Trinitatis 2021