Predigt am 4. Sonntag nach Trinitatis 2021

Predigt am 4. Sonntag nach Trinitatis 2021

zu Genesis 50,15-21

Liebe Gemeinde,

freuen Sie sich heute Abend auf den Tatort? Ich weiß, dass der Tatort bei nicht wenigen von Ihnen zum festen Programm Sonntagabends gehört. Spannung ist angesagt. Man ermittelt in Gedanken mit. Wer war es wohl?

Und ist richtig sauer, wenn irgendwelche Fernsehkritiker vorab in der Boulevardpresse oder im Interview im Radio schon viel zu viel verraten. Oder gehören Sie zu den anderen Tatortfans? Zu denen, die schon gerne wissen würden, in welche Richtung ermittelt wird. Und die am liebsten schon mal die letzten Seiten des Drehbuchs lesen würden?

Wird es gut enden? Wird die Gerechtigkeit siegen? Wir Menschen sind fasziniert von solchen Geschichten und fiebern und bangen mit. Je dramatischer, umso besser finden das viele von uns.

Wenn Sie zur zweiten Gruppe der Menschen gehören, sind Sie heute hier genau richtig. Die Bibel hält hochdramatische Kriminalfälle für uns bereit, bei denen man sich von Anfang an fragt: wie wird das wohl ausgehen? Werden die Täter bestraft? Und gibt uns die Möglichkeit, schon mal auf den Ausgang der Geschichte zu lunckern. Aber auch für alle Nicht-Krimi-Fans lohnt sich heute der Blick in unseren Predigttext.

Ich fasse die bisherigen Folgen unserer Krimireihe mal kurz zusammen:

Um 12 Brüder geht es da, die Söhne Jakobs. Im Land Kanaan leben sie zur Zeit des Alten Testamentes und der Familie geht es gut.

Einen Stachel gibt es aber: es gibt ein Lieblingskind, verwöhnt und bevorzugt vom Vater Jakob von vorne bis hinten: Joseph.

Und Joseph gefällt sich in der Rolle etwas Besonderes in der Familie zu sein, träumt seltsame Träume, die seine Besonderheit gegenüber den Brüdern und Überlegenheit verdeutlichen. Und erzählt dann auch noch davon.

Oh, wie sauer sind da die Brüder. Und ihre Rache ist hart: sie werfen ihn in einen Brunnen mitten auf dem heißen Feld und verkaufen ihn letztlich als Sklaven nach Ägypten. Dem Vater erzählen sie, dass Joseph den Raubtieren zum Opfer gefallen ist.

Unser Krimi steigt in seiner Spannung: Joseph kommt in Ägypten ins Gefängnis, macht sich aber einen guten Namen aufgrund seiner Traumdeutekunst. Der ägyptische Pharao ist tief beeindruckt, lässt Joseph an seinen Träumen teilhaben und durch die richtige Deutung bewahrt Joseph das ägyptische Volk so vor einer katastrophalen Hungersnot. Und nicht nur das ägyptische Volk. Weil Ägypten gut vorgesorgt hatte, konnte es die Nachbarvölker mitversorgen. Auch Josephs Brüder ziehen von Kanaan nach Ägypten, werden bei Joseph vorstellig und verbeugen sich vor ihm. Josephs Kindheitstraum hatte sich damit erfüllt. Das wusste aber nur er, den n die Familie erkennt ihn nicht. Nach einigen weiteren Kapiteln unseres Krimis gibt er sich zu erkennen und holt die Familie nach Ägypten. Die Brüder sind erleichtert, dass Joseph keine Rachegedanken hegt und ihnen keine Vergeltung androht. Scheinbar ist alles gut und der Friede wieder eingezogen.

Und nun kommt es zum dramatischen Höhepunkt unseres Kriminalfalls: der Mittelpunkt der Familie, Jakob, stirbt. Die Brüder sind voller Sorge: was wird Joseph jetzt tun? Sie doch noch bestrafen und sich so an ihnen rächen? Es gut sein lassen und ihnen wirklich verzeihen? Wird die Geschichte ein gutes Ende nehmen?

Das Ende unseres Krimis ist im 1. Buch Mose im 50. Kapitel aufgeschrieben:

Die Brüder Josefs aber fürchteten sich, als ihr Vater gestorben war, und sprachen: Josef könnte uns gram sein und uns alle Bosheit vergelten, die wir an ihm getan haben. Darum ließen sie ihm sagen: Dein Vater befahl vor seinem Tode und sprach: So sollt ihr zu Josef sagen: Vergib doch deinen Brüdern die Missetat und ihre Sünde, dass sie so übel an dir getan haben. Nun vergib doch diese Missetat uns, den Dienern des Gottes deines Vaters! Aber Josef weinte, als man ihm solches sagte. Und seine Brüder gingen selbst hin und fielen vor ihm nieder und sprachen: Siehe, wir sind deine Knechte. Josef aber sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Stehe ich denn an Gottes statt? Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk. So fürchtet euch nun nicht; ich will euch und eure Kinder versorgen. Und er tröstete sie und redete freundlich mit ihnen.“

Oha, das ist ein überraschendes Ende, liebe Gemeinde, nicht wahr? Als Tatortexperten hätten wir jetzt die Überführung der damaligen Täter und deren Verhaftung und gerechte Strafe erwartet. Aber nichts von alledem. In der Bibel gehen Krimis so oft so ganz anders aus, gut eben.

Wie kann das sein? Nun, in unserem heutigen Fall gibt es mehrere Gründe dafür, die nicht minder dramatisch und spannend sind.

Nach Jakobs Tod vergehen die Brüder fast vor Angst. Sie fürchten eine grausame Rache Josephs. Und tun nun das einzig Richtige: sie suchen in ihrer Panik das Gespräch und gestehen ihre Schuld ohne Wenn und Aber ein.

Liebe Gemeinde, wie gut würde es unserer Gesellschaft im Großen und im Kleinen so manches Mal tun, wenn Schuld eingestanden würde.

In der Politik, bei einem Verkehrsunfall, in der Familie, wenn man da dem anderen Unrecht getan hat. Anstatt sich hinter verlogenen Ausflüchten zu verschanzen, die letztlich alles schlimmer machen und das Leid der Opfer noch größer.

Josephs Brüder fassen sich ein Herz und bekennen sich schuldig im Wissen, dass Joseph jetzt erst Recht alles Recht der Welt hätte, sie hart zu bestrafen.

Doch nichts dergleichen passiert. Unser Krimi nimmt eine völlig überraschende Wende: Joseph weint. Ist bis ins Mark von der Beichte der Brüder getroffen. Und zeigt sich so seinen Brüdern, wie er ist: ein Mensch wie sie, verwundbar, mit einem Herzen in der Brust und keinem Stein. Einem Menschen, dem die Erlebnisse der letzten Jahre in Ägypten zugesetzt hatten, auch wenn er sich äußerlich davon nichts anmerken ließ.

Joseph ist Mensch und nicht Gott. Er ist Mensch mit allen Ecken und Kanten wie seine Brüder auch. Genau das sagt er seinen Brüdern. Es ist nicht an ihm, Vergeltung für Unrecht zu üben. Das steht ihm gar nicht zu. Er würde dann genau so schuldig.

Und doch gibt er seinen Brüdern zu verstehen, wieviel Leid sie ihm angetan haben und das ihn das bis heute beschäftigt. Wegwischen kann er das von seiner Seele nicht einfach. Aber er sagt auch ganz deutlich: diese Schuld zu vergeben ist alleine Gottes Sache. Gott schenkt so einen neuen Anfang zwischen Menschen, wo Schuld tiefe Gräben geschaffen hat.

Liebe Gemeinde,

was für eine wunderbar menschliche Lösung im Umgang mit Konflikten uns am Ende unseres Krimis hier aufgezeigt wird:

Gott überfordert uns nicht. Er gesteht Joseph zu, das zum Ausdruck zu bringen, wie sehr das Handeln der Brüder seiner Seele geschadet hat, welche Spuren da unauslöschbar eingegraben sind. Und er gesteht Joseph zu, das gegenüber den Geschwistern anklagen zu dürfen. Und sich so vieles von der Seele reden zu können. Das tut gut.

Aber letztlich darüber zu befinden, ein Urteil zu fällen, das liegt bei Gott alleine. Joseph darf dieses Procedere getrost an Gott abgeben, muss sich nicht auch damit noch belasten und so vielleicht neues Unglück über die Familie herbeiführen. Weil Gott sich der Sache annehmen wird, ist er frei für einen Neuanfang mit seiner Familie ohne Wenn und Aber. Nur Gott kann es am Ende gerecht beurteilen und dann wieder gut machen. Das steht nicht in unserem menschlichen Ermessen und braucht es auch gar nicht.

Denn das ist doch unserer tröstlicher und so befreiender christlicher Glaube, dass uns Das genau durch den Kreuzestod Jesu Christi geschenkt wurde: Gottes Sohn nimmt sich unserer menschlichen Schuld an und trägt diese für uns.

Liebe Gemeinde, und ein letzter, großartiger, finaler Gedanke verbirgt sich noch in der Schlussszene unseres Krimis:

„Ihr gedachtet es böse zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen!“ Gott möchte nicht, dass sich die Menschheit in Schuld, Strafe, Vergeltung, Unfriede, Krieg verstrickt, sondern er möchte sie in einem befreiten, erlösten Leben wissen, getragen von Gottes Gnade.

Was für ein Ende unseres Krimis, liebe Gemeinde. So ganz anders als jeder Tatort an den Sonntagen. Und das Ende dieser uralten Geschichte gilt bis heute jedem Einzelnen von uns: Auch mit mir, egal was da vorher war, gedenkt Gott es am Ende gut zu machen. Amen

Pfarrerin Anja Humbert

Predigt am 4. Sonntag nach Trinitatis 2021