Predigt zum 2. Sonntag nach Trinitatis 2021

Predigt zu 1. Korintherbrief 14

Strebt nach der Liebe! Bemüht euch um die Gaben des Geistes, am meisten aber darum, dass ihr prophetisch redet! Denn wer in Zungen redet, der redet nicht zu Menschen, sondern zu Gott; denn niemand versteht ihn: im Geist redet er Geheimnisse. Wer aber prophetisch redet, der redet zu Menschen zur Erbauung und zur Ermahnung und zur Tröstung. Wer in Zungen redet, der erbaut sich selbst; wer aber prophetisch redet, der erbaut die Gemeinde. Ich möchte, dass ihr alle in Zungen reden könnt; aber noch viel mehr, dass ihr prophetisch redet. Denn wer prophetisch redet, ist größer als der, der in Zungen redet; es sei denn, er legt es auch aus, auf dass die Gemeinde erbaut werde. Nun aber, Brüder und Schwestern, wenn ich zu euch käme und redete in Zungen, was würde ich euch nützen, wenn ich nicht mit euch redete in Worten der Offenbarung oder der Erkenntnis oder der Prophetie oder der Lehre? So verhält es sich auch mit leblosen Instrumenten, es sei eine Flöte oder eine Harfe: Wenn sie nicht unterschiedliche Töne von sich geben, wie kann man erkennen, was auf der Flöte oder auf der Harfe gespielt wird? Und wenn die Posaune einen undeutlichen Ton gibt, wer wird sich zur Schlacht rüsten? So auch ihr: Wenn ihr in Zungen redet und nicht mit deutlichen Worten, wie kann man wissen, was gemeint ist? Ihr werdet in den Wind reden. Es gibt vielerlei Sprachen in der Welt, und nichts ist ohne Sprache. Wenn ich nun die Bedeutung der Sprache nicht kenne, werde ich ein Fremder sein für den, der redet, und der redet, wird für mich ein Fremder sein. So auch ihr: Da ihr euch bemüht um die Gaben des Geistes, so trachtet danach, dass ihr sie im Überfluss habt und so die Gemeinde erbaut.

Liebe Gemeinde,
gut, das Sie nicht wie die Gemeinde in Korinth sind. Die macht nämlich nur Ärger. Immer gibt es Streit, gibt es Kämpfe unterschiedlicher Gruppen. Deshalb muss Paulus gleich zweimal an die Gemeinde schreiben, um theologische Fragen zu klären, um Konflikte zu lösen, um Gesprächsbereitschaft zu ermöglichen. Und die Probleme haben es in sich. Ich versuche eine Übertragung auf die heutige Zeit, die nicht ganz Ernst gemeint ist. Es wäre ungefähr so:

Die Marxloher wollen nicht mit den Obermarxlohern zusammen Abendmahl feiern, weil die Obermarxloher den falschen Wein nehmen. Die Marxloher befürworten einen lieblichen Rotwein, denn Jesu Botschaft von Gottes Liebe ist süß und wunderschön. Die Obermarxloher wollen zum Abendmahl lieber einen trockenen Rotwein, denn Jesu Weg auf Erden war hart und schwer. Und von den Menschen aus Röttgersbach, da will ich gar nicht erst anfangen, die finden nämlich, dass man im Sommer auch mal einen Weißwein zum Abendmahl trinken kann. Alle drei Gruppen haben nach Paulus ein richtiges Anliegen, aber sie führen ihre Kämpfe so vehement, dass sie nicht mal mehr miteinander reden und die Gemeinde völlig gespalten ist. Jeder misstraut dem Andern. Die einzelnen Gruppen sprechen sich jeweils das Christsein ab. Unvorstellbar für Paulus.

Und es gibt noch ein zweites großes Problem in der Gemeinde in Korinth. Zungenrede. Eine ungewöhnliche Praxis, die vom Heiligen Geist manchen Menschen als Talent gegeben wurde. Auf griechisch heißt Zungenrede Glosolalie und kann übersetzt werden mit „Wenn die Zunge lallt“. In manchen Freikirchen wird dies bis heute praktiziert. Meistens sind dann einzelne Menschen vorne am Altar und rufen, schreien, kreischen in einem ekstatischen Zustand für uns nicht verstehbare Worte und Laute. Dieser Zustand soll dann eintreten, wenn Gott einem besonders nahe ist und Gott eine Nachricht an diesen Menschen weitergeben möchte.

Auf unsere Gemeinde übertragen würde das ungefähr so vielleicht aussehen. Am Beginn des Gottesdienstes würden unser Presbyter den Altarraum betreten, energisch die Hände zum Himmel reißen und mit Gott sprechen. Sie und ich verstehen die Worte aber nicht. Irgendwann würden Sie sich an diesen Ablauf sicherlich gewöhnen, vielleicht wären Sie auch neidisch, weil Sie diesen besonderen Draht nicht haben. Aber stellen Sie sich vor, Sie haben nun Besuch und bringen diesen mit zum Gottesdienst. Was wäre das für eine merkwürdige und unverständliche Vorführung, die da ablaufen würde. Denn nur aus der korinthischen Gemeinde kennen wir das Phänomen der Zungenrede.

Auch Paulus findet das Phänomen sehr suspekt. Er selber kann es auch nicht. Er will aber nicht die Zungenrede verbieten, sondern nimmt die Tradition Ernst. Er weist aber auf zwei Missstände hin. Die Personen, die Zungenrede können, fühlen sich als wertvoller als alle anderen Gemeindemitglieder. Sie wollen Entscheidungen alleine treffen, weil sie sich für die einzig wahren Berufenen ansehen. Der zweite Missstand ist für Paulus, dass Zungenrede an sich noch nicht viel der Gemeinde bringt. Wenn unsere Presbyter 10 Minuten in Zungen reden und sich dann wortlos hinsetzen würden, was hätten wir davon? Deshalb sagt Paulus: Ihr müsst es übersetzen und die Gemeinde teilhaben lassen, an euren Erkenntnissen, sonst ist eure Gabe ja gar nichts wert.

Paulus versucht also zwischen den Gruppen zu moderieren. Er weist auf ihre Gemeinsamkeiten hin. Sie alle sind durch den Heiligen Geist berufen und haben verschiedene Stärken. Wenn jeder Einzelne seine Stärke einbringt, dann ist dies das beste für die ganze Gemeinde. Paulus führt dies kunstvoll aus und endet in Kapitel 13, also genau vor dem heutigen Predigttext mit einem der bekannten und schönsten Bibelstellen . Er hatte seine Gedanken über die Liebe entfaltet, so einmalig, so unnachahmlich, dass man diese Verse seitdem „das Hohelied der Liebe“ nennt. „Nun aber bleiben Glaube, Liebe, Hoffnung, diese drei. Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen… sie rechnet das Böse nicht zu.., sie verträgt alles, sie glaubet alles, sie hoffet alles, sie duldet alles.“ Heute noch begeistern diese Worte, und bei Trauungen und Konfirmationen gehören sie wohl zu den meist nachgesprochenen Worten der Bibel.

Die Liebe soll es also sein, unter die alles zusammengefügt wird. Das findet sich auch direkt am Anfang in unserem Kapitel: Strebt nach der Liebe. Doch wie lässt sich für Paulus diese Liebe erreichen. Paulus redet hier von der prophetischen Rede, die wichtiger und stärker ist als die Zungenrede. Und diese prophetische Rede lässt sich in drei Kategorien unterteilen: Erbauung, Ermahnung und Tröstung. Doch was ist damit gemeint?

Unter Erbauung wird verstanden, Jesus nachzufolgen. Dabei dient Jesus als Vorbild für den eigenen Glauben und sein Vertrauen auf Gott und als Ideal für die Hilfe am Nächsten. Diese Hilfe am Nächsten, auch Diakonie genannt, bezieht sich dabei nicht nur auf die, die uns Nahe sind, sondern auch auf die, die unsere Hilfe besonders brauchen, zu denen wir aber keinen Kontakt haben. So wie Jesus zu den Ausgestoßenen geht, so sollen wir durch die Erbauung der prophetischen Rede die Ausgestoßenen in unserer Gesellschaft besuchen und wieder teilhaben lassen.

Als zweites gehört die Ermahnung zur prophetischen Rede. Dabei ist nicht nur gemeint, unsere Konfis zu ermahnen, wenn sie lieber quatschen als zuhören wollen, oder die Ermahnung an sie, die Masken richtig anzuhaben. Gemeint sind Mahnungen, den Glauben richtig zu verstehen und das in den Mittelpunkt des Lebens zu stellen, was da hingehört. Auch gemeint ist die Mahnung an EntscheidungsträgerInnen, sich nach christlichen Gesichtspunkten zu entscheiden. Hier in Marxloh, aber auch in Krisensituationen, wie das Flüchtlingssterben im Mittelmeer.

Als letzten Teil gehört noch die Tröstung zur prophetischen Rede. Nicht nur bei Beerdigungen, sondern dort, wo Trost nötig ist. Dort, wo Menschen in Krisen sind, wo Lebensabschnitte endeten.

Was bedeutet dies für heute? Was ist heutige Zungenrede? So gerne ich unsere Presbyter beim Zungenreden
beobachten würde, bin ich mir sicher, dass die beiden das gar nicht können. Doch wann reden wir sonst in Zungen, also für andere unverständlich? Sie kennen sicherlich alle solche Momente, wo man gerne etwas sagen möchte, weil man wütend ist, weil man verletzt wurde, weil man verliebt ist, und man traut sich nicht, seine Gefühle offen darzulegen. Stattdessen redet man um den heißen Brei herum. Das sind Situationen in denen wir in Zungen reden und das, so sagt es ja Paulus, hilft uns nicht weiter, denn wir geben unserem Gegenüber auch keine Chance sich zu uns zu verhalten. Und es gibt natürlich dann doch Zungenrede, auch in diesem Gottesdienst. Immer wenn ich so kompliziert und verschachtelt rede, dass Sie gar nicht mehr wissen, was ich denn jetzt eigentlich sagen möchte, auch das ist Zungenrede, und wenn ihnen dies auffällt, sagen Sie mir bitte Bescheid, damit ich prophetisch zu Ihnen reden kann, also in Worten der Erbauung, der Ermahnung und der Tröstung. Denn das können wir auch von Paulus lernen: Das Ideal einer Gemeinde. Diese hilft dem Nächsten, ermahnt sich selbst und die Anderen menschlicher zu werden und tröstet die Traurigen und Verletzten. Und wer weiß, vielleicht könnte die Gemeinde aus Korinth ja auch einiges von uns lernen. Amen

Vikar Jonathan Kohl