Andacht zum Sonntag Quasimodogeniti (1. Sonntag nach Ostern)

Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus,
der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat
zu einer lebendigen Hoffnung
durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten.

1. Petrus 1,3

Martin Luther sitzt in Wittenberg spät abends noch in seinem Studierzimmer und arbeitet. Unter dem Fenster steht der Teufel und ruft nach oben: „Wohnt hier Doktor Martin Luther?“ Luther hört die Stimme des Teufels, springt zum Fenster, reißt die Läden auf und ruft: „Nein, der Martin Luther, der ist längst gestorben. Hier wohnt Jesus Christus!“ Da zieht der Teufel den Schwanz ein und flüchtet.

Diese kleine Anekdote über Martin Luther beschreibt eindrücklich, was es heißt, „wiedergeboren“ oder „neugeboren“ zu sein: Der alte Mensch, der Versuchungen erliegt, Fehler und Sünden begeht, von Ängsten und Sorgen beherrscht wird, ist gestorben, durch den Glauben ist ein neuer Mensch geworden, eine „lebendige Hoffnung“.

Doch auch Martin Luther hat erlebt, dass der alte Mensch in ihm immer wieder hochkam. Auch ihn haben Zweifel und Ängste gequält und fehlerfrei war sein Verhalten ganz und gar nicht. In solchen Momenten der Anfechtung hat er sich daran erinnert: „Ich bin getauft, ich stehe auf der Seite des auferstandenen Christus. Christus ist stärker als alle Mächte.“

Zweifel und Ängste quälen auch uns. Ostern, das Fest des neuen Lebens, haben wir nun schon zum zweiten Mal unter schwierigen Bedingungen erlebt. Aber etwas hat sich verändert. Im vergangenen Jahr standen wir alle noch unter Schock angesichts der neuen weltweiten Bedrohung durch die Pandemie. Aber wir hatten zugleich auch die Hoffnung, dass der Spuk bald wieder vorbei sein würde. In diesem Jahr ist daraus eher eine große Niedergeschlagenheit und Hoffnungslosigkeit geworden und kaum noch jemand wagt es, an ein schnelles Ende zu glauben. Die unüberschaubare Flut von zum Teil sich widersprechenden Regeln, die immer wieder neu aufflammende Diskussion um die Impfstoffe, die gegenseitigen Schuldzuweisungen für „falsche“ Entscheidungen in der Politik, machen uns ratlos und unsicher. Wie unbarmherzig urteilen wir oft selbst über die, die doch versuchen, ihr Bestes zu geben, um aus dieser Pandemie herauszukommen! Die Medien leisten ihr Übriges, um uns immer wieder neu zuzuschütten mit negativen Nachrichten und dem Aufzeigen düsterer Perspektiven.

Sind wir nun im Zustand dauerhafter Finsternis gefangen? Oder in der Sprache Martin Luthers: Hat uns der Teufel wieder fest im Griff?

„Wie neugeboren“ – so fühlt sich im Moment wohl kaum jemand. Denn so fühlt man sich, wenn man eine Krankheit überstanden hat, eine tödliche Gefahr gebannt ist und sich neue Perspektiven auftun.

Das Wort aus dem 1. Petrusbrief ist jedoch keineswegs an Menschen gerichtet, denen es gut geht und die fröhlich in die Zukunft blicken. Im Gegenteil. Hier werden Menschen ermutigt, die in einer bedrückenden und schweren Zeit leben. Sie sollen wissen, woran sie sich halten können trotz Anfechtung und Verzweiflung. Gerade ihnen wird gesagt: Leid und Tod haben nicht das letzte Wort! Wir sind wiedergeboren zu einer lebendigen Hoffnung. Nicht aus eigener Kraft, sondern durch die Kraft Gottes, der neues Leben schenkt – mitten im Leid und durch den Tod hindurch. Der Grund dafür ist Ostern. Jesus lebt, und wir werden leben!

Ostern lässt uns auch unser Leben mit anderen Augen sehen. Wir sehen Menschen, die einander im Blick behalten, die Rücksicht nehmen aufeinander, sich gegenseitig helfen, trösten und ermutigen. Wir sehen ein Gesundheitssystem, das standgehalten hat, in dem sich Ärzte, Pfleger, Krankenschwestern, Wissenschaftler der unterschiedlichsten Fachrichtungen nach Kräften darum bemühen, Menschenleben zu retten. Wir sehen, dass innerhalb kürzester Zeit Impfstoffe entwickelt worden sind, die uns schützen und eines Tages wieder normal leben lassen. Wir sehen Politikerinnen und Politiker, die ihr Bestes geben, um die Bevölkerung zu schützen und durch diese Pandemie zu führen.

Lasst uns doch Hoffnungszeichen erkennen und selbst zu Hoffnungsträgern werden – statt mit den Wölfen zu heulen und einzustimmen in das Klagelied der ewig Besserwissenden!

Gelobt sei Gott, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung! Amen.

Übrigens: Die geheimnisvolle Bezeichnung „Quasimodogeniti“ für den ersten Sonntag nach Ostern ist der Anfang eines Satzes aus dem 1. Petrusbrief in lateinischer Sprache: quasi modo geniti – wie Neugeborene. „Wie neugeborene Kinder nach Milch schreien, sollt ihr nach dem echten Wort Gottes verlangen. Dadurch wachst ihr im Glauben heran, sodass ihr gerettet werdet“ (1. Petrus 2,2).
Früher fand die Taufe der Erwachsenen nur in der Osternacht statt und wurde als der Anfang eines neuen Lebens verstanden. In der sich anschließenden Woche wurden die Neugetauften in den Sakramenten unterwiesen, und der Sonntag nach Ostern bildete den Abschluss dieser Unterweisungszeit. Zum letzten Mal trugen die Neugetauften im Gottesdienst das weiße Taufkleid. Von dieser Kleidersitte ist auch der Name „Weißer Sonntag“ abgeleitet. Als man dazu überging, Kinder gleich nach der Geburt zu taufen, löste sich der Brauch der österlichen Taufe auf.

Andacht zum Sonntag Quasimodogeniti